not on the map

kopfhörer 10/99

titeISTORY

Schnappschüsse aus dem Niemandsland Vor gut zwei Jahren ernteten sie bereits für ihr Debut-Album "Two Many Frames" Lorbeeren in Hülle und fülle. Danach wurde es jedoch relativ schnell ruhig um phonoroid. Doch jetzt sind sie wieder da. phonoroid - mit Schlagzeuger Harald Großkopf um einen Mann stärker und mit einem reifen Folgewerk im Handgepäck, meldet sich die deutsch-amerikanische Band eindrucksvoll zurück.

Auch mit aufgestockter Besetzung und verfeinerten Produktionsmethoden bleibt der Name dieser Band Programm: Sängerin Vanessa Vassar und Gitarrist Axel Heilkecker, die beiden Gründungsmitglieder der Gruppe, verstehen Sound und Arbeitsweise von phonoroid nach wie vor als klangliches Äquivalent zur Technik der Polaroid,- Fotografie. So sind die Tracks auf der neuen Produktion Not On The Map zwar immer noch Schnappschüsse im Sinne des Grundkonzepts, allerdings zeigen sie im Vergleich zu Two Many Frames deutlich mehr Kontur und Tiefenschärfe.

Aber was für eine Art Musik machen phonoroid da eigentlich wirklich? Möglicherweise - und nur der Einfachheit halber - könnte man sie auch dem Country Pop zuordnen. Die vordergründige Anmutung des Gruppensounds ist sicher Country. Auch weil im Country mehr als in anderen Song-Genres das Geschichtenerzählen Zuhause ist - und nichts anderes macht Vanessa Vassar.

Aber neben Country ist noch jede Menge mehr zu hören: Psychedelic, elektronische Beats, talking Blues, abgefahrene Grooves, Zeitlupen-Desert Rock, Spuren von Ambient... Eine tatsächlich einzigartige, absolut unverwechselbare Musik ist das. Und alles mit Ecken und Kanten, einer Menge Herz und ziemlich viel hintergründigem Witz. Und dabei radikal neben dem Mainstream, not on the map sozusagen. Ein Album, das süchtig machen kann und zudem noch teilweise überraschende Ohrwurmqualitäten aufweist.

Axel Heilkecker, Gitarrist bei phonoroid meint dazu: Unser erstes Album basierte auf intuitivem Vorgehen. Wir folgten einfach nur den Eingebungen unserer gerade entdeckten musikalischen Seelenverwandschaft. Jeder Song war auch für uns eine Überraschung. Und die Aufnahmen für Two many Frames sind fast ausschließlich unbearbeitete 'First Takes'. Inzwischen wissen wir einfach mehr über den Charakter von phonoroid als beim ersten Mal. Es mag pathetisch klingen - aber wir haben uns erst selbst gefunden durch unsere Tourneen in Deutschland und Amerika.

Daher war es nun leicht, die Momente zu erkennen, wo Intuition und Konstruktion zusammenkommen müssen. Ich konnte wesentlich gezielter auf die Songs eingehen und auf deren Atmosphäre Einfluss nehmen als beim letzten Album. Zwar arbeiten wir immer noch mit einer Menge 'First Takes' und schreiben weite Teile der Musik während des Aufnehmens. Aber der erste Take ist eben nicht mehr automatisch der Richtige. Wir haben uns diesmal mehr erlaubt, mit den Elementen herumzuspielen, uns auch mal Zeit für Beats oder Overdubs genommen, um die Wesensmerkmale einer Nummer zu unterstreichen."

Eine weitere Ursache für den volleren, ausgereifteren Sound der Band auf Not On The Map ist die Mitwirkung von Schlagzeuger Legende Harald Großkopf, der phonoroid schon während der ersten Tournee durch Deutschland und die USA unterstützte. Großkopf sorgte schon in den Anfängen der deutschen Elektronik-Szene bei einigen inzwischen historischen Bands für den richtigen Takt. Anfang der 70er gab es schließlich noch keine Sequencer bzw. Drum-Machines. Und bis heute gilt er als Pionier, selbst unter Technojüngern. In seiner langen Karriere hat er auf unzähligen Tonträgern mitgewirkt. Durch seine Arbeit mit Gruppen und Künstlern wie Ash Ra Tem ple, Klaus Schultze u.v.a. genießt er weltweites Ansehen.

Auch auf dem neuen phonoroid-Album frönt Harald Großkopf seiner Liebe zu selbstgebautem Schlagwerk, seinen sogenannten 'Trash Drums', die er aus allen möglichen Fundsachen selbst fertigt. Über dieses ungewöhnliche Instrumentarium erteilt er grinsend die Auskunft: Ich mag große Trommeln, und die sind im Laden teuer. Meine selbstgebauten Trommeln sind billig, sehen abgefahren aus und klingen sehr gut." Den Grund für seine Mitwirkung bei phonoroid benennt er gleichsam lakonisch: Ich mag originelle Projekte."

Und diese Beschreibung trifft phonoroid ziemlich genau auf den Punkt. Auch nach Ansicht der internationalen Musikkritik: Die Mischung aus den weiten, offenen Klanglandschaften, die Axel Heilhecker nur mit Hilfe seiner Gitarre vor dem Hörer ausbreitete, und den extravaganten Vocals und Lyrics von Vanessa Vassar transportierte das Konzept von akustischen Road Movies, das Two Many Frames zugrunde lag.

'Short stories' sind auch die Songs auf Not On The Map. Einmal mehr stehen Alltagsbetrachtungen im Zentrum der Songs, diesmal allerdings nicht im Sinne eines Reiseberichts, wie Sängerin und Texterin Vanessa Vassar erläutert: Die Figuren in unseren neuen Songs sind gesellschaftliche Außenseiter, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen. Geschichten über Leute, die nicht integriert sind - und es wohl auch nicht wirklich sein wollen, schätze ich."

She Cowboy, auch Single-Auskopplung des Albums, erzählt von einer (Haus)Frau, die lieber wie Clint Eastwood den Wilden Westen unsicher machen würde, als ihren alltäglichen Verrichtungen nachzugehen. Im Song Bubblebath singt Vanessa von einer endlos öden Party in exquisiter musikalischer Umsetzung der langweiligen Atmosphäre dort, wo zum 100.000sten Mal das ewig Gleiche passiert. So wünscht sich die traurige Heldin des Titels fort in eine schaumgefüllte Badewanne - und zwar am besten nicht allein. Armadillo ist die ebenso einfühlsame wie amüsierte Beobachtung von Gürteltieren(!) am Rand eines staubigen Wüsten-Highways. Die seltsamen Lebewesen faszinieren die Sängerin nicht nur aufgrund ihrer urzeitlichen, seltsam anachronistischen Anmutung, sondern auch wegen des Widerspruchs zwischen ihrem gepanzerten, scheinbar robusten Erscheinungsbild und ihrer tatsächlichen Verletzlichkeit: Wenn man durch bestimmte Gegenden von Texas fährt, liegen da mehr überfahrene Armadillos herum, als man zählen kann", erklärt sie dazu. Ein düsteres Sinnbild also, aber in vielfacher Hinsicht aussa gekräftig. Und auf alle Fälle typisch für Vanessas Art, ihre Ansichten zu vermitteln: Ich habe immer gern mit der Sprache gespielt", erklärt sie, ich liebe es, wenn etwas mehr als eine Bedeutung hat, besonders in Verbindung mit Humor. Es ist nicht immer ganz offensichtlich, was genau hinter meinen Texten steckt, aber das ist okay. Und meistens ist es zum Lachen. Selbst wenn das Leben sich von der ernsten Seite zeigt, ist es im Grunde immer noch lächerlich", findet Vannessa, und wenn man nicht über sich selbst lachen kann, dann verpasst man einfach eine Menge guter Gags." Vanessas Interesse an der Sprache und ihren Klängen kommt natürlich nicht von ungefähr. Die gebürtige Texanerin studierte Medienwissenschaft und Literatur an der Loyola Marymount University, später arbeitete sie als Journalistin, Schriftstellerin und Regisseurin von Musikvideos. Sie studierte außerdem klassisches Piano und sang an der New Yorker Metropolitan Opera, bevor sie schließlich Anfang der 90er Jahre nach Berlin übersiedelte.

Durch Vanessas Sprung über den grossen Teich und in den anderen Kulturkreis kam es zu dieser aussergewöhnlichen Verbindung amerikanischer und deutscher Musiker. Ein Glücksfall ohne Frage, denn die interkontinentale Melange macht sich im Sound der Band bemerkbar und trägt wesentlich dazu bei, phonoroid vom Umfeld, vom üblichen abzuheben.

Dazu äußert sich der weltgewandte Harald Großkopf: Ich schätze es nicht besonders, wenn deutsche Bands versuchen, möglichst amerikanisch zu sein. Aber Vanessa ist nun mal Amerikanerin, und so klingt es natürlich zumal ihre Stories ja auch von diesem kulturellen Hintergrund geprägt sind. Axel und ich sind Europäer, und das kann man genauso hören: besonders an den Sounds und Grooves, die wir favorisieren. Mich überrascht immer wieder Axels Art, das U.S.-Idiom zu zerlegen und neu zu interpretieren. Das macht sein Gitarrespiel auf dem Album so absolut eigenständig."

Stimmt haargenau. Und das ist sicher einer der Gründe für die positive Resonanz der phonoroid-Alben auch in den USA. Mit klassischem Country und dem 90er Jahre 'Nashville Plastic' hat die Band wirklich nichts zu tun. phonoroid nimmt Klischees gekonnt auf die Schippe und addiert zur Motorhorne-Idylle eine Messerspitze Sarkasmus, eine Prise Sehnsucht und einen Schuss schwüle Laszivität. Würde ein Regisseur wie Peter Greenaway je einen Spaghetti- Western drehen und ihn mit Figuren bevölkern, wie man sie aus Woody Allens Werken kennt - das vorliegende Album wäre vermutlich der perfekte Soundtrack dazu.